Alte Runen

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Zugelassene UTZ-Kurs-Schüler:

 

Emma Granger aus Ravenclaw

Bluedragon aus Gryffindor

 

 

 

1.    Stunde:

 

Liebe Schüler [breitet überschwänglich die Arme aus],

willkommen zu Ihrem – leider – letzten Schuljahr, in dem ich Sie alle dazu nötigen kann, die Runenschrift zu lernen und der germanischen Mythologie ein wenig Ihrer gewiss viel beanspruchten Aufmerksamkeit zu schenken. Ach! [haut verärgert schmunzelnd auf den Tisch] Nun verlegen Sie ihr Geturtel mit Ms. Nott doch bitte auf die Pause, Mr. Pringle! […] Dankeschön!

Wenn Sie noch nicht alles vergessen haben, was ich Ihnen vor den Ferien versucht habe einzutrichtern, dann werden Sie sich gewiss daran erinnern, dass ich Sie in Klasse 6 mit einem exorbitanten Einstieg in die germanische Mythologie geplagt habe. [Schüler stöhnen auf] Ja! Ja... und das alles nur zu dem Zweck, damit Sie die Zeit und die Umgebung, in der die Runen entstanden sind, ein wenig besser verstehen … oder damit Sie durch meine Ausführung noch ein ernsthaftes Interesse an dem Thema entwickeln. Wer weiß... wer weiß... [zwinkert] Gesagt sei Ihnen allen: Ich werde nichts wiederholen! Schauen Sie in ihre Aufzeichnungen zu Klasse 6, wenn Sie alles vergessen haben sollten. Sie sind alt genug, sich die Dinge selbst zu erarbeiten!

Kommen wir nun dazu, was wir in diesem Jahr tun werden. Diejenigen unter Ihnen, die nicht an Feriendemenz erkrankt sind, erinnern sich wohl ebenfalls an meine Androhung, Ihnen nach all der einführenden Theorie zu den Göttern und der Weltordnung ganz konkret einige Sagas näherzubringen. Kein leichtes Unterfangen! Saga-Texte sind nicht leicht zu verstehen. Man könnte fast sagen: Das muss so sein! Merken Sie sich, die Texte, die sie am wenigsten begreifen, sind in der Regel die ältesten und ursprünglichsten Texte und daher auch jene, die eigentlich wertvoller sind, da sie weniger „verchristlicht“ sind. Zum einen ist die Art und Weise wie gesprochen wird für uns ungewohnt, oft liegen diese Texte mehr als 900 Jahre zurück und ihr Inhalt ist in seinem mündlichen Ursprung mitunter doppelt so alt. Zum anderen sind die Inhalte für uns fremd und leider können wir nicht einfach einem skandinavischen Heiden von damals auf die Schulter klopfen und fragen „Du sag mal, was meintest Du noch mit dem Spruch?“ Leichter verständliche Texte sind dagegen meist aus dem 13. Jahrhundert, in einer Gesellschaft, die schon seit 200 Jahren christlich ist, und deren Redekunst uns einigermaßen vertraut ist, da wir ebenfalls Texte aus unserem Kulturkreis aus jener Zeit haben... Walther von der Vogelweide... Hartmann von Aue... Bei einigen von Ihnen klingelt es da vielleicht dunkel. Sie haben jedoch Glück! Denn Sie haben den guten Snorri und seine recht verständliche Prosa-Edda aus dem 13. Jahrhundert! Diese bezieht sich mit hunderprozentiger Sicherheit auf die viel, viel, viel älteren Texte, die wir heute im Codex Regius zum Teil überliefert haben. Will sagen, Snorri Sturluson hatte diese alten Texte vor der Nase. Wenn also die Ältere Edda uns verständnismäßig völlig dahinrafft, dann kommt Snorri an und bringt das meiste in eine ganz gut verständliche Deutung. Natürlich hat Snorri die ganzen alten Texte auch nur interpretiert und durch sein eigenes Schaffen manchmal auch sinnmäßig verändert. Trotzdem können wir uns Dank der Snorra-Edda einiges mehr zusammenreimen und ich werde Sie daher nicht mit den ältesten Texten quälen, sondern auf Snorri zurückgreifen. [erleichtert atmen einige Schüler auf] Und falls Sie noch auf dem Schlauch stehen und sich fragen – Snorri … Wer? Sie haben wieder Glück! Wir schauen uns heute zuallererst ein Bild in unterschiedlichen Versionen an, bevor Sie Sagas lesen müssen.

 

Frage: Was erkennt ihr auf diesem Bildstein?

 

   

Picture 1 is in the public domain, Taken from Wiki Commons           Picture 2 is in the public domain, Taken from Wiki Commons

 

Das hier ist der Gotländische Bildstein von Ardre. Ardre... das liegt im schönen Schweden auf Gotland und dort wurden neben diesem Bildstein auch noch andere Steine mit Runen gefunden. Dieses Exemplar ist einer der größten und schönsten germanischen Bildsteine, die wir heute kennen. Meine erste Frage ist ganz leicht. Was können Sie erkennen? [Mr. Summerbee meldet sich] Ein Wikingerschiff! [Ms. Smitch ergänzt] Unten links sitzen Leute in so einer Art Ruderboot und fischen und daneben ist irgendwas zu sehen mit einem Tier – vielleicht ein Wolf? - Sehr gut, ihr beiden! Ja Mr. Vane? „Ist das da oben vielleicht sowas wie ein Pferd mit zu vielen Beinen?“ Ja, genau! Und zwar mit genau acht Beinen! Nun haben wir also einen Wolf, ein paar Fischer im Ruderboot, ein Schlachtschiff und ein achtbeiniges Pferd und damit befinden wir uns bereits mitten drin in den Sagas, denn dieser Bildstein zeigt typische mythologische Geschichten. Drei davon werden wir behandeln. Die erste Geschichte wird euch erklären, was das Pferd da oben soll. Dieses Pferd ist eng mit der Gründungsgeschichte Asgards, dem Wohnsitz der Götter, verbunden. In der Snorra Edda lautet die Geschichte so:

 

Aus Snorra Edda, Absatz 42:

„Die Besiedlung durch die Götter war noch in den Anfängen, als sie Midgard und Wallhall errichtet hatten. Damals kam ein Baumeister zu ihnen und erbot sich, ihnen in drei Jahren eine so gute Burg zu erbauen, dass sie verlässlich und sicher sei vor den Berg- und Reifriesen, selbst wenn diese nach Midgard hereinbrächen. Aber als Lohn forderte er, dass ihm Freya gehören sollte, und er wolle Sonne und Mond haben. Darauf versammelten sich die Asen und hielten Rat. Diese Vereinbarung wurde mit dem Baumeister geschlossen, nach der er nur erhalten sollte, was er forderte, wenn er die Burg in einem Winter fertigstellte. Aber wenn am ersten Sommertag irgendein Teil des Bauwerks nicht vollendet sei, dann breche er den Vertrag. Und niemand soll ihm bei der Arbeit Hilfe leisten. Als sie ihm diese Bedingungen nannten, verlangte er, sie sollen ihm gewähren, Hilfe von einem Pferd namens Swadilfari zu bekommen. Und weil Loki es riet, wurde dies mit ihm vereinbart. Er begann am ersten Wintertag mit dem Bau der Burg, und selbst in den Nächten schleppte er auf seinem Pferd Steine heran. Aber den Asen schien es erstaunlich, welch große Felsen das Pferd zog. Es leistete doppelt so viel Arbeit wie der Baumeister. Aber ein unverbrüchliches Zeugnis und viele Eide banden sie an ihre Vereinbarung, und zwar, weil es den Riesen nicht sicher erschien, ohne solch eine Abmachung bei den Asen zu sein, wenn Thor heimkäme. Damals war er jedoch in den Osten gezogen, um Trolle zu erschlagen. Als der Winter verging, schritt der Burgbau rasch voran, und die Befestigung war schon so hoch und stark, dass sie niemand angreifen konnte. Als nur noch drei Tage bis zum Sommeranfang waren, war sie bis auf das Burgtor fertig. Da setzen sich die Götter auf ihren Richterstühlen zusammen und beratschlagten sich. Ein jeder fragte den anderen, wer geraten habe, Freyja nach Riesenheim zu verheiraten und die Luft und den Himmel zu verderben, indem man Sonne und Mond dort wegnehme und den Riesen gebe. Und alle stimmten überein, dass dies derjenige empfohlen haben müsse, der am allerschlechtesten rate, nämlich Loki, Laufeys Sohn. Sie sagten, er werde einen üblen Tod erfahren, wenn er keinen Rat habe, wie der Baumeister den Vertrag nicht erfülle, und sie griffen Loki an. Aber weil er Angst bekam, schwörte er Eide, er werde so handeln, dass der Erbauer vertragsbrüchig werde, wie sehr er sich auch anstrenge. Und am selben Abend als dieser mit dem Pferd Swadilfari hinausging, um Steine zu holen, kam aus dem Wald eine Stute gelaufen. Sie lief zum Hengst und wieherte. Aber als der Hengst wahrnahm, was dies für eine Stute war, da wurde er wild, riss die Stricke entzwei und lief zu ihr. Sie galoppierte fort in den Wald, und der Baumeister rannte hinterher und wollte den Hengst einfangen. Die Pferde jedoch liefen die ganze Nacht weiter, und in dieser Nacht blieb die Arbeit liegen. Auch am folgenden Tag wurde nicht so gearbeitet, wie es vorher geschehen war. Aber als der Baumeister sah, dass sein Werk nicht zu Ende geführt werden konnte, packte ihn Riesenzorn. Da wussten die Asen mit Sicherheit, dass ein Bergriese zu ihnen gekommen war, weswegen die Eide nicht gehalten werden mussten. Sie riefen Thor, der sofort kam, und im nächsten Augenblick fuhr der Hammer Mjölnir durch die Luft. Er zahlte den Arbeitslohn, und das waren nicht Sonne und Mond; vielmehr verweigerte er es ihm sogar in Riesenheim zu wohnen. Denn der erste Schlag traf so, dass der Schädel in viele Stücke brach. Er schickte ihn hinunter nach Niflheim. Aber Loki hatte damals solch ein Zusammentreffen mit Swadilfari, dass er etwas später ein Fohlen gebar. Das war grau und hatte acht Beine. Dieses Pferd ist das beste bei Göttern wie bei Menschen.“

 

Also, fassen wir zusammen: Die Asen-Götter wollen eine schicke Burg für sich errichten. Da kommt plötzlich so ein komischer Typ daher und sagt: „Hey Leute, ich baue euch die superschnell fertig und dafür will ich die schönste eurer Frauen haben – Freyja – und weil ich so bescheiden bin, auch noch Sonne und Mond dazu.“ Die Götter halten also ein Meeting ab und denken sich, setzen wir dem Typen eine unerreichbare Frist, dann kann der sich abrackern und wir bekommen unsere schöne Burg fast fertig für lau. Das Ding ist ja, der Typ stimmt dem Deal auch noch zu und will bloß ein Pferd als Gehilfe haben und da denken sich die Götter, na das wird den Kohl auch nicht mehr fett machen, also stimmen sie dem Deal zu. Tja, aber der Typ war doch nicht ganz so doof, Ms. Perkins, nicht? Erst einmal hat er Kräfte wie Superman und dann hat er auch noch ein Superpferd, das ihm halbe Gebirgsketten heranschleppt. Als die Götter begreifen, dass es dieser merkwürdige Baumeister tatsächlich schaffen kann, den Deal einzuhalten, geraten sie in Panik und schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Ja, Mr. Vane, dass ist richtig. Man könnte sagen, sie suchen sich Loki als Sündenbock. Die Götter gehen also zum armen Loki und sagen: Hör mal Loki, wenn Du den Baumeister nicht sabotierst, dann bekommst Du es mit uns zu tun. Ja und dann? Genau Mr. Summerbee: Der Loki ist ja nicht blöd. Der will sich seinen Schädel nicht von Thors Hammer einhauen lassen, also denkt er sich eine List aus. Das kann Loki im Allgemeinen besonders gut. Und weil Loki ja so ein toller Verwandlungskünstler ist, denkt er sich, warum sich also nicht in eine rossige Stute verwandeln, um das Wunderpferd kirre zu machen und so den Zeitplan aufzuwirbeln. Also vollzieht er eben mal so die Verwandlung in ein Pferd und unterzieht sich dabei gleich einer Geschlechtsumwandlung – Ja, sie lachen, Ms. Perkins, ist aber so! Die Sache geht auf, Swadilfari-Superpferd springt mit Loki-Stute von dannen, sie paaren sich und Loki wird dabei auch gleich noch schwanger. Der Baumeister ist nun richtig sauer, denn er kann seinen Vertrag nicht halten und er entpuppt sich als zorniger Riese. Thor tritt auf und denkt sich: „Juhu, endlich was zum Erschlagen“. Der Bergriese bekommt also eins auf die Nuss und alle Asen sind glücklich. Bei der schicken Burg fehlt nur noch das Tor, sie können einziehen und Loki gebiert ein Superpferd. Aus anderen Sagas erfahren wir übrigens, dass dieses Pferd achtbeinig ist und Sleipnir heißt und dass es das schnellste Pferd der Welt ist. Um wieder gut bei den Asen dazustehen, verschenkt Loki das Pferd Sleipnir an Odin, den obersten Gott.

Und nun die Masterfrage, was ist das wohl für ein ominöses Pferd da oben auf dem Bildstein und wer sitzt oben drauf? - Tja, und schon habt ihr einen mythologischen Teil des Bildsteins verstanden. Alle Welt sieht nur ein komisches Pferd mit zu vielen Beinen, aber ihr wisst nun, was für eines das ist und welche Geschichte sich darum rankt und das es gleichsam mit einer wichtigen Begebenheit – der Gründungsgeschichte Asgards verknüpft ist. So, ich denke, nun haben wir genug für heute getan. Macht eure Aufgaben und bis zum nächsten Mal.

Prof. Lisa Diggory

 

 

Deine Hausaufgabe:

 

Erledige mindestens 2 dieser Aufgaben:

1. Was ist das Pferd da oben auf dem Bildstein vermutlich? Welcher Gott sitzt dann vermutlich oben drauf?

2. Welchen Eindruck machen die germanischen Götter in dieser mythologischen Erzählung aus dem 13. Jahrhundert bei Snorri Sturluson auf Dich? Bedenke: Der christliche Gelehrte Augustinus von Hippo beschrieb den christlichen Gott zu selben Zeit als "allmächtig, allwissend und allgütig". Treffen diese Eigenschaften des christlichen Gottes auch auf die Darstellung der germanischen Asen zu, die ja schließlich auch Götter sind? Warum ja? Warum nein? Sammle einige Argumente und begründe deine Einschätzung.

3. Wie verständlich erschien Dir der Text, was fandest Du inhaltlich oder sprachlich befremdlich bzw. was hat Dich evtl. überrascht an dem Text?

4. Snorri war Christ: Was könnte dafür sprechen, dass er die Geschichte seinem Wertebild entsprechend verändert hat. Schreib mir deine Gedanken dazu kurz auf.

Schicke deine Hausaufgaben an: alterunen@meinhpw.de

 

 

 

 

 

2.    Stunde:

 

Willkommen! Schön, euch wiederzusehen!

Ich weiß, ihr lechzt schon wieder nach den Ferien. Doch noch ein letztes Mal werde ich versuchen, euch in die Geheimnisse des Bildsteins von Ardre einzuweihen. Wir werden uns also weitere Teile des Bildsteins vornehmen und am Ende der Stunde hoffe ich, dass ihr diese Bilder besser versteht. Was das achtbeinige Pferd ganz oben auf dem Stein mythologisch bedeutet, haben wir ja schon in der letzten Stunde erfahren. In dieser Stunde möchte ich mit euch besonders den unteren Teil des Bildsteins untersuchen. Den kompletten Stein zu analysieren, das werden wir leider nicht schaffen, Mr. Pringle, aber für den unteren Teil habt ihr in der letzten Stunde schon vielversprechende Beobachtungen gemacht. So habt ihr festgestellt, dass unten links ein kleines Ruderboot zu sehen ist, auf dem vermutlich gefischt wird, und daneben habt ihr einen Wolf ausgemacht. Und zu jedem dieser kleinen Bildeinheiten gibt es eine passende mythologische Geschichte. Das Ruderboot-Bildnis bezieht sich so vermutlich auf eine Erzählung, die von Thors Abenteuern handelt.

Aus Snorra Edda, Absatz 48:

Wie ein junger Bursche zog er [Thor] durch Mitgard, und eines Abends kam er zu einem Riesen, der Hymir genannt wird. Dort übernachtete Thor. Und bei Tagesanbruch stand Hymir auf, kleidete sich an und bereitete sich darauf vor, zum Fischen hinaus aufs Meer zu rudern. Aber Thor sprang auf und war schnell fertig; er bat, Hymir möge ihn mit auf See rudern lassen. Der jedoch sagte, dass er ihm wenig Hilfe sein werde, denn er sei klein und noch ein junger Mann: "Und dich wird frieren, wenn ich so lange dort draußen bleibe, wie ich es gewohnt bin." Aber Thor sagte, er könne so weit vom Land wegrudern, dass nicht sicher sei, ob er zurückrudern wolle. Er wurde auf den Riesen so wütend, dass er bereit war, ihn sofort mit dem Hammer zu erschlagen. Aber er ließ davon ab, weil er beabsichtigte, seine Kraft an anderer Stelle zu erproben."

Thor befindet sich, wie man hier sieht, auf Reisen. Dabei trifft er auf den Riesen Hymir, der seinen Lebensunterhalt durch das Fischen verdient. Als Thor mit auf See kommen will, verschmäht ihn der Riese jedoch und macht sich über ihn lustig. Thor darf schließlich doch mitkommen und nimmt sich vor, seine Männlichkeit und Stärke Hymir gegenüber zu beweisen. Es geht in dieser Geschichte also darum wie mächtig, männlich und stark Thor ist.

Schließlich sagte Hymir, sie seien so weit hinausgefahren, dass es wegen der Mitgardschlange gefährlich sei, hier draußen zu bleiben. Thor jedoch wollte noch eine Weile weiter rudern und tat dies auch. Hymir war allerdings schlechter Laune. Nachdem Thor die Ruder hochgelegt hatte, bereitete er eine ziemlich starke Angelschnur vor und der Angelhaken war nicht kleiner und weniger stark. Auf ihn steckte er den Ochsenschädel [als Köder] und warf ihn über Bord. Der Angelhaken glitt bis zum Grund und es ist Dir wahrlich zu sagen, dass da Thor die Mitgardschlange nicht weniger täuschte [...], während er mit seinen Händen die Schlange hochhob. Die Mitgardschlange schnappte den Ochsenkopf und der Haken drang ihr in den Gaumen. Aber als sie das bemerkte, bewegte sie sich so heftig, dass beide Fäuste Thors gegen die Schiffswand schlugen. Darüber wurde er zornig und es wuchs seine Asenkraft. Er stemmte sich so fest dagegen, dass er beide Beine durch das Schiff stieß und auf den Meersgrund kam. Dann zog er die Schlange hinauf zum Schiffsrand. Das aber muss man sagen, dass niemand je so einen schrecklichen Anblick erlebt hat, der nicht sehen konnte, wie Thor mit durchbohrendem Blick die Schlange ansah, während sie von unten hinaufstarrte und Gift blies. Es wird erzählt, der Riese Hymir habe die Gesichtsfarbe gewechselt, er sei erbleicht und habe Angst bekommen, als er die Schlange erblickte und sah, dass die See ins Boot hinein- und hinausströmte. In dem Augenblick, in dem Thor den Hammer ergriff und durch die Luft schwang, nahm der Riese das Ködermesser und durchschlug Thors Angelschnur an der Bordwand. Die Schlange versank im Meer und Thor warf den Hammer nach ihr. Man sagt, er habe unter den Wellen ihren Kopf abgeschlagen. Ich jedoch halte dies für wahr, um es dir zu erzählen, dass die Mitgardschlange noch lebt und im Ozean liegt.

Diese Geschichte zeugt von Thors enormer Stärke. Im letzten Schuljahr hatten wir über die germanisch-mythologische Weltordnung gesprochen. Dabei hatten wir festgestellt, dass die Mitgardschlange die einzelnen Welten zusammenhält, indem sie sich einmal um die Welt herum wickelt und sich dabei selbst in den Schwanz beißt. Wenn nun also Thor die Mitgardschlange hochheben kann, dann bedeutet dies nicht weniger, als dass er so mächtig ist, dass er die gesamte Weltordnung aus ihren Angeln heben kann. Und genau darum geht es meiner Meinung nach auch bei der Ruderbildszene im Bildstein. Wie ihr sehen könnt, ist die linke Ecke des Bildsteins schlecht erhalten, doch wenn meine Theorie stimmt, wer befindet sich dann auf dem Ruderboot, was müsste dann an der Angelrute (oder dem Speer) in dieser linken Ecke zu sehen sein? Und wie müsste man dann die Umrandung des Bildsteins deuten? Denkt mal drüber nach. Das wird eure 1. Hausaufgabe sein. 

Doch ich hatte euch ja noch versprochen, euch den Wolf im Bild zu erklären. Diese Geschichte hat meiner Meinung nach etwas mit Loki zu tun. Ihr wisst bereits, dass Loki sehr ambivalent ist und sehr schwierig einzuschätzen. Er kann sehr hilfreich sein, aber auch sehr listig. Er kann den Asen Nutzen bringen, ihnen aber durchaus auch schaden. Eine Geschichte, in der Loki eher für Schaden sorgt, ist die Geschichte von Lokis drei Kindern. Loki zeugt mit der Riesin Angrboda für die germanische Weltordnung drei sehr verhängnisvolle Nachkommen. Das erste ist der Fenriswolf, das zweite die Mitgardschlange, das dritte die Göttin der Unterwelt Hel. Und in der Snorra Edda, Absatz 33 heißt es:

Aber die Götter wussten davon, dass diese drei Geschwister in Riesenheim aufwuchsen. Und sie erfuhren durch Weissagungen, dass ihnen von den Geschwistern großes Unglück widerfahren würde, und es schien allen, von ihnen nur das Schlechteste erwarten zu können, zuerst wegen der mütterlichen, aber noch mehr wegen der väterlichen Eigenschaften.

Es gibt also eine Prophzeiung, die vorraussagt, dass diese drei den Asen große Probleme bereiten werden. Nur wenig später erfährt man, dass allein der Fenriswolf den Gottvater Odin töten wird. Somit sind die drei laut Prophezeiung maßgeblich am Ragnarök, dem Ende der bekannten Weltordnung, beteiligt. Was also tun? Die Asen entschließen sich, die Mitgardschlange ins Meer zu werfen, aber die wächst auch unter Wasser weiter und gedeiht prächtig. Hel wird nach Niflheim verbannt, wo sie ihr eigenes Reich findet. Dennoch sind sie aus der unmittelbaren Gefahrenzone verbannt. Nur weiß niemand, was mit dem Fenriswolf geschehen soll. Er ist zu stark, um sich mit ihm anzulegen. Nur Tyr wagt sich zu ihm, um ihn zu füttern. Schließlich überlegen sich die Götter eine List. Sie fertigen eine starke Fessel an und bitten den Wolf, seine Kraft an ihr zu messen. Der Wolf willigt ein, doch er zerstört die Fessel Lörding mühelos. Daraufhin schaffen die Asen eine zweite Fessel, die doppelt so stark ist wie die erste. Sie heißt Dromi. Doch auch diese kann der Fenriswolf zerstören. Die Asen geraten daraufhin in Panik, da sie scheinbar nicht in der Lage sind, den Wolf zu fesseln. Sie senden einen Boten zu den Zwergen in Schwarzalbenheim und bitten diese, eine Fessel anzufertigen, die der Fenriswolf nicht bezwingen kann. Und so schmieden die Zwerge die Fessel Gleipnir:

Sie wurde aus sechs Stoffen gefertigt: aus dem Lärm der Katze, und dem Bart der Frau, aus den Wurzeln des Felsens und den Sehnen des Bären, aus dem Atem des Fisches und dem Speichel des Vogels. [...] Sie wurde glatt und geschmeidig wie ein Seidenband [...]. 

Ja, Ms. Smitch? Ja, Du hast Recht. Das sind ziemlich widersprüchliche Bestandteile, aber offenbar kann etwas, das nicht besiegt werden kann, nur von etwas gefesselt werden, was es nicht gibt. Ja, das mag verwirrend sein Shaunee, aber vielleicht kann man es auch einfach so sehen, dass die Menschen von damals schon einen ausgeprägten Humor hatten und durchaus Sinn für das Paradoxe. Doch lasst uns erstmal mit der Geschichte fortfahren. Nun, als nächstes versuchen die Götter, den Fenriswolf zu überreden, diese Fessel auch zu probieren, aber der Fenriswolf nimmt Gleipnir nicht für voll und er weigert sich, denn er bezweifelt, dass ihm Ruhm zuteil wird, wenn er ein dünnes Seidenband durchtrennt. Erst als die Götter nicht locker lassen, schwant dem Fenriswolf, dass mit der Fessel etwas nicht stimmt und, dass sie vielleicht doch nicht so leicht zu zerstören ist, wie es den Anschein hat. Er fordert ein Tribut:

Der Wolf sagte: "Wenn ihr mich so fesselt, dass ich mich nicht selbst befreien kann, handelt ihr auf eine Weise, nach der mir kaum eure Hilfe zuteil werden wird. Deshalb bin ich nicht darauf erpicht, mir dieses Band anlegen zu lassen. Aber ehe ihr mir mangelnden Mut vorwerft, lege doch einer seine Hand als Pfand in mein Maul, damit es ehrlich zugeht." Aber jeder der Asen sah den anderen an, und es schien jetzt zwei Probleme zu geben. Niemand wollte seine Hand vorstrecken, bis schließlich Tyr seine rechte Hand ausstreckte und sie dem Wolf ins Maul legte. Und als dieser zog, wurde das Band fest und noch härter; je mehr er sich zu befreien versuchte, um so fester wurde das Band. Da lachten alle außer Tyr, er verlor seine Hand.

Die Fessel Gleipnir also bezwingt den Fenriswolf und erst als die Fessel zu einem späteren Zeitpunkt gelöst wird, kann der Fenriswolf die Prophezeiung erfüllen. Tyr überlebt, aber er bekommt seinen Arm nie mehr wieder. Daher werden Darstellungen eines Einarmigen in der germanischen Mythologie von der Forschung heute immer auf Tyr zurückgeführt. Da ihr die Geschichte nun kennt, solltet ihr euch als zweites überlegen, wie die Elemente um den Wolf herum auf dem Bildstein gedeutet werden können. Die Stunde ist nun zu Ende. Ich wünsche euch viel Erfolg bei den UTZ-Prüfungen und bitte macht zur Vorbereitung eure Hausaufgaben.

Prof. Lisa Diggory

 

Deine Hausaufgabe:

 

1) Angenommen die Theorie des Professors stimmt und die Ruderboot-Szene hat etwas mit der ersten mythologischen Geschichte zu tun, wer befindet sich dann demnach auf dem Ruderboot, was müsste dann an der Angelrute (oder dem Speer) in dieser linken Ecke zu sehen sehen? Und wie müsste man dann die Umrandung des Bildsteins deuten?

2) Wen stellt, nutzt man die zweite Erzählung, der Wolf im unteren Bildteil dar? Und wer könnten die Figuren links und rechts sein? Was passiert und was soll dieser Bogen über dem Wolf?

3) Schreibe den folgenden Absatz in Runenschrift:

Der Fenriswolf zerstörte die erste Fessel Lörding. Er konnte auch die zweite Fessel Dromi zerstören. Aber als die Zwerge die Fessel Gleipnir schmiedeten, war er gefangen und Biss in seiner Wut Tyr den Arm ab.

Freiwillig: Zeichne eine mythologische Szene anhand der Geschichten oder male ein Bild von Loki, Tyr, Thor, dem Fenriswolf oder der Mitgardschlange.

Freiwillig: Überlege, welche Elemente aus der nordischen Mythologie JKR für die Harry-Potter-Bücher nutzt, oder an welche mythologischen Aspekte sie sich in irgendeiner Weise literarisch anlehnt. Begründe deine Aussage.

Sende deine Hausaufgabe an: alterunen@meinhpw.de

 

 

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